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Zimmer frei! Urlaub nach 1945 in Österreich. Zur Einführung

Urlaub ist eine junge Erscheinung. Erst die Industrialisierung in Europa und die wachsende Trennung von Arbeit und Freizeit in vielen Lebensbereichen ermöglichten diese gesellschaftliche Praxis. Urlaubsanspruch wurde je nach Berufssparte sukzessive erkämpft. Bis heute unterscheiden sich Urlaubsmöglichkeiten und -formen je nach sozialem Milieu.[i]

Im Studienprojekt „Zimmer frei! Urlaub nach 1945 in Österreich“ an der Universität Wien erforschten Studierende der Europäischen Ethnologie ein Jahr lang – von Sommersemester 2022 bis Wintersemester 2022/23 – unter der Leitung des Museumsdirektors Christian Rapp, des Wirtschafts- und Sozialhistorikers Oliver Kühschelm und der Europäischen Ethnologin Brigitta Schmidt-Lauber die Veränderungen des Inland-Tourismus in Österreich nach 1945. Die Ergebnisse münden in die Ausstellung „Zimmer frei“ im Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich, die im Herbst 2023 in St. Pölten eröffnet wird, sowie in diese Website. Zusätzlich sind die Ergebnisse der einzelnen Themen sowie eine Reflexion des Forschungsprozesses ab Ende Jänner 2023 in den großen Schaukästen des Instituts für Europäische Ethnologie in der Hanuschgasse 3, 1010 Wien zu sehen.

Konjunkturen des Reisens

Reisen unterliegt Konjunkturen, die von ökonomischen und sozialen, technischen und infrastrukturellen Verhältnissen abhängen. Urlaubsroutinen und -moden sind so immer auch Indikatoren zeitspezifischer gesellschaftlicher Verhältnisse.[ii]

Abbildung 1: Urlaub wird Planungsaufgabe. Koje „Urlaub in Österreich“ auf der Wiener Frühjahrsmesse 1965

Der Zweite Weltkrieg hatte der Sommerfrische als bürgerlicher Routine des Sommerurlaubs ein Ende bereitet und mündete in eine allgemeine Mangelsituation an Grundversorgung und in Hungersnot. Umso euphorischer erlebte die Bevölkerung den Aufbruch und das Wirtschaftswunder ab den 1950er-Jahren, das zu neuem Wohlstand führte. Auch Urlaub etablierte sich in dieser Zeit als selbstverständliche Routine für breite Bevölkerungsschichten. Das veränderte den Fremdenverkehr grundlegend. Neue Kapazitäten mussten geschaffen werden. Ergänzend zum professionellen Hotel- und Gastgewerbe etablierte sich im ländlichen Raum die Privatzimmervermietung. So wie der Ausbau der Eisenbahnen im 19. Jahrhundert neue touristische Landschaften geschaffen hatte und im frühen 20. Jahrhundert der Postautobus diese noch weiter auffächerte, sorgte in den 1960er-Jahren die Massenmotorisierung für einen weiteren Entwicklungsschub des Fremdenverkehrs: Bislang vernachlässigte Gegenden blühten auf und traditionelle Destinationen verloren an Zugkraft.

Abbildung 2: Vorboten der Motorisierung. Werbepostkarte eines Gasthofs in der Nähe der Hohen Wand, um 1955

Waren Reise- und Urlaubswege für die Mehrheit der Europäer*innen zunächst noch auf den Nahraum und allenfalls das europäische Umland begrenzt, hat sich das Reiseverhalten seit den 1980er-Jahren allmählich hin zum Ferntourismus entwickelt. Zunehmend wurde es sogar selbstverständlich, in der Urlaubszeit andere Kontinente zu bereisen. Der gesellschaftliche Horizont weitete sich. Zwar fanden Reisen ins Inland weiterhin statt, aber sie wurden in der Regel kürzer und waren anders konnotiert als die „große Urlaubsreise“. Einmal im Jahr – oder je nach Möglichkeiten in anderem Turnus – fand und findet für viele Menschen die „große Urlaubsreise“ statt, die oft in ferne Ziele bzw. ins Ausland oder zu ganz besonderen Erlebnisreisen führt.[iii] Diese Reise kann von einem Reiseveranstalter organisiert oder individuell geplant werden.

In jüngster Zeit allerdings gewinnen Nahreisen gesellschaftlich wieder erheblich an Bedeutung. Zum einen ist das allgemeine Bewusstsein für die ökologischen Folgen unserer Mobilitätsformen gewachsen, wodurch das eigene Handeln überdacht wird und auch inländische Destinationen an Attraktivität gewinnen. Zum anderen wirkten sich in den Jahren 2020 bis 2022 die Mobilitätsbeschränkungen der Corona-Pandemie aus und verkürzten den räumlichen Radius der Menschen erheblich.

Abbildung 3: Postkartenautomat aus dem Rasthaus Brettlbar Lang in Mönichkirchen, um 1970

Das Projekt

Im Studienprojekt gingen acht Studierende forschend dem Urlaubsverhalten in Österreich nach. Aus verschiedenen Blickwinkeln und mit unterschiedlichem Quellenmaterial untersuchten sie ihr jeweiliges Thema. Leitend für die Struktur des Projekts war es, die verschiedenen Schritte des Urlaubmachens als Kreislauf herauszuarbeiten: die Reisemotive und der Prozess der Planung (1), die Abreise in den Urlaub (2), die Ankunft (3) und Begegnung mit Gastgeber*innen, die Aktivitäten am Urlaubsort (4) und schließlich die verschiedenen Formen der Erinnerung (5). All das wurde im Studienprojekt sowohl aus der Perspektive der reisenden Gäste als auch und besonders aus der der Gastgeber*innen und Urlaubsorte betrachtet.

Innerhalb dieser Abfolge haben sich die Studierenden auf folgende Fragestellungen konzentriert: 

  • Wie hat sich die Tourismuswerbung Niederösterreichs in den letzten Jahrzehnten entwickelt? Mit welchen Medien und Bildern wurden Urlaubsinteressierte angesprochen?
  • Was zeigt sich im Planen und Vorbereiten von Urlauben? Welche Zuständigkeiten, welche Rollenmuster, welche Werte, welche Praktiken? 
  • Was macht bestimmte Landschaften attraktiver als andere und wie inszenieren sich urlaubende Menschen in unterschiedlichen Landschaften? 
  • Was lässt sich exemplarisch aus der Geschichte eines Hotels in Drosendorf für die Entwicklung des niederösterreichischen Tourismus in der Nachkriegszeit ableiten? 
  • Was machen Menschen, denen kaum ein Budget für einen Urlaub zur Verfügung steht? 
  • Welche Beziehungen entstehen zwischen Gästen und Gastgebenden im Rahmen der sogenannten Privatzimmervermietung? 
  • In welchen Souvenirs werden Erinnerungen gespeichert und an andere Orte bzw. nach Hause transportiert?

Die Ergebnisse der Studienprojekte werden wie bereits oben beschrieben für eine breitere Öffentlichkeit sichtbar gemacht. Dafür haben sich die Teilnehmenden zusätzlich zu ihren eigenen Forschungsprojekten Arbeitsgruppen angeschlossen und das Lektorat, die Website-Koordinierung oder die Vitrinengestaltung umgesetzt.

Das Denken und Arbeiten auf eine Ausstellung hin, zeichnete das Studienprojekt neben der inhaltlichen Arbeit am Thema „Urlaub in Österreich nach 1945“ aus. Die Studierenden waren von Anfang an in den Planungs- und Gestaltungsprozess der Ausstellung in St. Pölten eingebunden. Sie bestimmten die Storyline wesentlich mit, untersuchten unterschiedliche historische Quellen, führten zahlreiche Gespräche sowohl mit Urlaubenden als auch Gastgeber*innen und anderen Akteur*innen des Tourismus, die als Interviews kulturwissenschaftlich ausgewertet wurden. Sie sammelten Gegenstände und Geschichten aus dem Feld und erkundeten Tourismusorte in (Nieder)Österreich. Auf dieser Basis verfassten die Teilnehmer*innen des Projektseminars Objekttexte für die Ausstellung, entwickelten Vermittlungsideen und wirkten an der Entscheidung über das bestgeeignete Gestaltungsteam mit. 

Abbildung 4: Arbeit an der Storyline der Ausstellung, Sommersemester 2022

Die vorliegende Website geht der gleichnamigen Ausstellung zeitlich voran, bereitet sie aber auch vor. Die Studierenden präsentieren hier in unterschiedlichen Texten und Formaten die Erkenntnisse und Quellen ausführlicher, als dies im Rahmen einer Ausstellung möglich ist. Sie lassen Personen zu Wort kommen, Bilder sprechen und illustrieren ihre Darlegungen durch reichhaltiges Text- und Tonquellenmaterial.

Zur Realisierung dieses Vorhabens wurden mit Hilfe finanzieller Unterstützung der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien Fabian Scheidt für die Programmierung sowie Elisabeth Czihak für die grafische Gestaltung der Website und ihrer Elemente eingebunden.

Abbildungsverzeichnis

Postkarte: © Privatbesitz

Abbildung 1: © ÖNB Bildarchiv Mediennummer: 00118073 https://onb.wg.picturemaxx.com/?16756386081222671803

Abbildung 2: © Privatbesitz

Abbildung 3: © Privatbesitz

Abbildung 4: © Museum Niederösterreich

[i] Siehe dazu: Bausinger, Hermann / Korff, Gottfried / Beyrer, Klaus (Hg.): Reisekultur. Von der Pilgerreise zum modernen Tourismus, München 1991 sowie Hachtmann, Rüdiger: Tourismus-Geschichte, Göttingen 2007.

[ii] Spode, Hasso (Hg.): Zur Sonne, zur Freiheit! Beiträge zur Tourismusgeschichte, Berlin 1991.

[iii] Mundt, Jörn W.: Einführung in den Tourismus, Oldenburg 1998.