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Bilder im Kopf. Erschaffene Landschaften

Begeben wir uns auf Reisen, nehmen wir die Umgebung besonders aufmerksam wahr. Dabei sehen wir nicht nur, was tatsächlich da ist, sondern es werden im Sehen zugleich Vorstellungen und Bilder von Landschaften in unseren Köpfen aktiviert. Denn unser Blick ist sozial und kulturell geprägt.

Abbildung 1: Familienausflug zur Rax 1947

Oft heißt es bei einer Wanderung in der Natur: „Wie schön ist doch die Landschaft hier, nicht wahr?“ Aber was ist eine „schöne“ Landschaft? Natur verstehen wir als die uns umgebende „natürliche“ Umwelt. Selten realisieren wir, wie sehr das Erscheinungsbild von Landschaften wie Wäldern oder Seen Ergebnis menschlicher Eingriffe ist und wie viele kulturell vermittelte Inhalte, Gefühle und Bedeutungen den Anblick und die Wahrnehmung prägen. Kulturelle Muster aus der Vergangenheit wirken in unseren Alltag hinein und beeinflussen unser Handeln und Denken.[i] Die Nutzung des Waldes zeichnet den Wald als Ort der Arbeit, Erholung und der vielfältigen Formen erlebter Freizeit aus. Albrecht Lehmann sieht den Wald als kulturellen Erfahrungs- und sozialen Handlungsraum.[ii]

 Erst durch den Blick einer sie betrachtenden Person wird die Natur zu einer Landschaft geformt.[iii] Es gibt kein „natürliches Sehen“, denn der Blick ist sozial und kulturell geprägt und damit zeit- und kontextabhängig. Durch ein Zusammenspiel von Vorstellungen und Gefühlen bei der Betrachtung der Natur entsteht ein Landschaftserlebnis mit Bedeutung. Wir erleben Natur etwa als „fröhlich“, „drohend“, „heiter“, „streng“ oder „stolz“,[iv] und formen sie zur Landschaft. Transportiert werden auch Gefühle und Stimmungslagen wie das Glücklich-Sein in den Bergen. So heißt es zur Verfilmung des Heidi-Romans: „Heidi, deine Welt sind die Berge […], brauchst du zum glücklich sein“.[v]

Wenn wir von Natur sprechen, dann haben wir oft die Vorstellung von „unberührter“ Wildnis, die es zu bezwingen gilt. In Europa begannen Menschen erst ab dem 18. Jahrhundert Landschaft als ästhetisch und „schön“ wahrzunehmen.[vi] Zuvor galten Naturregionen, insbesondere die Alpen, als „bedrohlich“ und „unbezwingbar“. Vor allem in der Zeit der Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelten sich neue Perspektiven auf Landschaft und Natur. Um die Natur zu genießen, etablierte sich die bürgerliche Praxis des Spazierengehens,[vii] für die die Landschaft geformt und „möbliert“[viii] wurde: „Die Möblierung und architektonische Gestaltung der Natur begründete man mit den Ansprüchen der Touristen nach Erholung und Erbauung, die daraus erwachsende Landschaftsästhetik spiegelte sich in der Wahrnehmung der Natur und ihrer Zurichtung.“[ix] Der Blick auf die Landschaft veränderte sich. Auch Literatur und Malerei wirkten maßgeblich an der Formung des Blicks auf die Landschaft mit – Landschaftsbilder etablierten sich.

Anhand zweier unterschiedlicher Naturräume möchte ich verschiedene Landschaftstypen aufzeigen: zum einen die Rax, eine alpine Region in den nördlichen Kalkalpen und zum anderen das niederösterreichische Waldviertel.

Alpenlandschaft Rax

Im Bezirk Neunkirchen in Niederösterreich befindet sich die spektakuläre Berglandschaft der Rax oder Raxalpe.[x]Historisch galten die Alpen als lebensbedrohlich und weckten zugleich Eroberungslust und regelrechte Euphorie, den Gipfel zu erklimmen. Am geläufigsten ist jedoch das von Künstler*innen und Fotograf*innen etablierte romantische Alpenbild,[xi] eine gefühlsbetonte Alpenkulisse. Dieses Vorstellungsbild manifestiert sich in spezifischen Gipfelposen der Malerei und auch der privaten Fotografie. Die Alpen avancierten im Laufe des 19. Jahrhunderts zum Sehnsuchtsraum einer breiten Masse. Doch nicht alle konnten den Wunsch einer eigenen Urlaubsreise umsetzen.

Naturlandschaft Waldviertel

Anders als die bergige Rax besteht das Waldviertel aus Wäldern, Wiesen, Feldern, Hochmooren und Heidelandschaften.[xii] In dem illustrierten Kulturführer „Waldviertel – Mystisches, Geheimnisvolles, Unbekanntes“[xiii], finden sich Bilder einer „magischen“, uralten Kulturlandschaft oder die Vorstellung einer „weltabgeschlossenen Waldeinöde“.[xiv] Das Buch transportiert gewisse Vorstellungen und beinhaltet Mythen und Sagen.

Das Waldviertel ist im Unterschied zur Alpenregion Rax als Natur- und Kulturlandschaft zu betrachten. Die Region Waldviertel wirbt auf ihrer Homepage als „Naturerlebnislandschaft“[xv] mit National- und Naturparks für sich,[xvi] die sich besonders zum Wandern und Radfahren in der Natur anbieten. Erholung, Ruhe und Naturnähe werden versprochen.[xvii]

Abbildungsverzeichnis

Postkarte: © Volkskundemuseum Wien, abm/0004, Fotografie aus Privatbesitz, © Volkskundemuseum Wien, abm 0002 (32), Fotografie aus Privatbesitz

Abbildung 1: © Volkskundemuseum Wien, abm/0004, Fotografie aus Privatbesitz

[i] Vgl. Lehmann, Albrecht: Waldbewußtsein & Waldnutzung. Der Wald in kulturwissenschaftlicher Sicht. In: Lehmann, Albrecht / Schriewer, Klaus (Hg.): Der Wald – Ein deutscher Mythos? Perspektiven eines Kulturthemas, Berlin / Hamburg 2000, S. 23-38, hier S. 26

[ii] Vgl. Ebda, S. 26f.

[iii] Vgl. Tobias Schweiger: Zur Bedeutung von Landschaft in österreichischen Privatfotografien der Nachkriegszeit. In: Garstenauer, Rita / Müller, Günter (Hg.): Aus der Mitte der Landschaft. Landschaftswahrnehmung in Selbstzeugnissen (= Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes), Innsbruck / Wien / Bozen 2011, S. 143-152, hier S. 144.

[iv] Vgl. Pagenstecher, Cord: Der bundesdeutsche Tourismus. Ansätze zu einer Visual History: Urlaubsprospekte, Reiseführer, Fotoalben 1950 – 1990, Hamburg 2003, S. 154.

[v] Heidi Songtext (o.D.) https://www.songtexte.com/songtext/gitti-und-erika/heidi-4bf777fa.html (Zugriff: 23.12.2022).

[vi] Vgl. Schramm, Manuel: Die Entstehung der modernen Landschaftswahrnehmung (1580-1730). In: Historische Zeitschrift 287 (2008), Heft 1, S. 37-59, hier S. 44ff.

[vii] Vgl. König, Gudrun M.: Promenadenmode. Spaziergehen als Vergnügen. In: Selheim, Claudia (Hg.): Wanderland: eine Reise durch die Geschichte des Wanderns, Nürnberg 2018, S. 48-55, hier S.48ff.

[viii] Göttsch-Elten, Silke: Mobilitäten – Alltagspraktiken, Deutungshorizonte und Forschungsperspektiven. In: Johler, Reinhard / Matter, Max / Zinn-Thomas, Sabine (Hg.): Mobilitäten: Europa in Bewegung als Herausforderung kulturanalytischer Forschung, Münster / New York / München / u.a. 2011, S. 15-29, hier S. 15ff.

[ix] Göttsch, Silke: Sommerfrische: Zur Etablierung einer Gegenwelt am Ende des 19. Jahrhunderts. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 98 (2002), Heft 1, S. 9-15, hier S. 11. Online unter: https://doi.org/10.5169/seals-118115 (Zugriff: 01.03.2023).

[x] Vgl. Skigebiete Reichenau an der Rax (o.D.) https://www.skiresort.de/skiurlaub-in/reichenau-an-der-rax-1686/skigebiete/ (Zugriff: 23.12.2022).

[xi] Vgl. Hanisch, Ernst: Landschaft und Identität. Versuch einer österreichischen Erfahrungsgeschichte, Wien / Köln / Weimar 2019, S. 118f.

[xii] Vgl. Das Waldviertel (o.D.) https://www.niederoesterreich.at/waldviertel (Zugriff: 22.01.2023).

[xiii] Bouchal, Robert / Sachslehner, Johannes: Waldviertel – Mystisches, Geheimnisvolles, Unbekanntes. Wien 2002.

[xiv] Bouchal / Sachslehner, Waldviertel, S. 23.

[xv] Naturschauplätze im Waldviertel. Niederösterreichs Natur echt, pur und unverfälscht erleben (o.D.) https://www.waldviertel.at/naturschauplaetze (Zugriff: 20.01.2023).

[xvi] Vgl. Ebda. (Zugriff: 20.01.2023).

[xvii] Vgl. Waldviertel – echt & unverfälscht. (o.D.) https://www.waldviertel.at/ (Zugriff: 19.01.2023).