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Das Hotel „Zum Goldenen Lamm“ in Drosendorf

Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstand eine neue Art des Urlaubens – die Sommerfrische. Reiche Bürger*innen aus der Stadt zogen über die Sommermonate aufs Land, so auch nach Drosendorf in das Hotel „Zum goldenen Lamm“. Die Geschichte des Hauses spiegelt die Entwicklungen des Tourismus in Österreich beispielhaft wider.

Endstation Bahnhof Drosendorf– Sommerfrische in Drosendorf

Es war ein Sonntagvormittag im Oktober 2022, als ich Dominik Bednar, den jetzigen Besitzer des Hotels „Zum goldenen Lamm“ für ein Interview traf. In der Gaststube frühstückten Hotelgäste, der Duft von frischem Kaffee lag in der Luft und fröhliches Geplauder hallte durch die Gaststube.[i]

Audioaufnahme 1: Geräuschkulisse der Gaststube des Hotels, 2022

Das Hotel liegt in Drosendorf an der Thaya, einem ehemaligen Sommerfrischeort im Waldviertel. Um die Jahrhundertwende verbrachten die bürgerlichen Familien Wiens hier ihre Sommer. Sie flüchteten vor Staub und Lärm der Großstadt,[ii] reisten zur Erholung und konnten sich ausreichend freie Zeit leisten.[iii] Drosendorf erfüllte all ihre Wünsche. Ein kleines Städtchen mit mittelalterlicher Stadtmauer, in einer Flussschleife der Thaya gelegen – wie geschaffen dafür, Natur und Heilbäder zu genießen.[iv] Die Eröffnung der Zugstrecke Retz-Drosendorf 1911 beschleunigte die Anfahrt.[v] Die Herrschaften aus Wien reisten nun mit der Bahn an und blieben von Juni bis September.

Abbildung 1: Der Haupteingang in das heutige Hotel „Zum goldenen Lamm“, Dezember 2022
Abbildung 2: Die denkmalgeschützte Fassade des Hotels, um 1960
Abbildung 3: Die Fassade des Hotels hatte sich einige Male geändert, hier um 1930

Damals führten Ferdinand und Leopoldine Failler das Hotel „Zum goldenen Lamm“ am Hauptplatz 27. Die Sommerfrischler*innen speisten bei ihnen in einem lichtdurchfluteten Gartensalon, dessen Mitte ein goldgerahmter, meterhoher Spiegel bildete. Nachmittags badeten die Gäste im Strandbad an der Thaya oder flanierten auf der Sommerpromenade entlang der Stadtmauer.[vi]

Abbildung 4: Die damaligen Besitzer*innen Ferdinand und Leopoldine Failler vor dem Gartenzugang ihres Hotels, um 1930

Lebensmittelknappheit und Nachkriegsrevival des Tourismus

In den Kriegsjahren 1939 bis 1945 war ein regulärer Betrieb des Hotels nicht möglich. Inzwischen führte der Sohn Ferdinand das Hotel mit seiner Frau Julia und deren vier Kindern: Elisabeth, Erika, Hannes und Juliane. Die heute über achtzigjährige Elisabeth di Giorgio (geb. Failler) erinnert sich noch an die Schwierigkeiten der damaligen Zeit. Selbst noch ein Kind schmierte sie Brote für Kinder aus Hamburg, Berlin und Pressburg, die in Drosendorf im Rahmen der nationalsozialistischen Kinderlandverschickungen Zuflucht gefunden hatten: „Naja, am Anfang hat es ja Butter gegeben und Marmelade. Zum Schluss hat es nur mehr Marmelade gegeben und dann war alles so sparsam, dass man nur mehr die Poren mit Marmelade verstrichen hat.“ [vii] Milch holten die Kinder aus dem Nachbarort, Weizen, Kartoffeln und Gemüse baute die Familie auf eigenen Feldern an.

Nach dem Kriegsende wurde Niederösterreich als günstige Sommerfrische der Wiener*innen beworben.[viii] In den Sommermonaten war Drosendorf „bis zum letzten Loch“[ix] an Feriengäste vermietet, erinnert sich Erika Resel (geb. Failler). Bis zu fünfzig Gäste nächtigten im Hotel ihrer Familie, hundert Gäste waren täglich am Mittagstisch zu versorgen. Das bedeutete viel Arbeit, auch für die Kinder des Hauses. Elisabeth di Giorgio schildert: „Wir haben schon immer als Kinder mitarbeiten müssen. Ab wann kann ich dir gar nicht sagen. […] Ab vierzehn habe ich zuerst Suppen eingeschenkt, dann die Mehlspeise ausgeteilt. Da hat es ein Mittagsmenü gegeben mit Suppe, Hauptspeise und Mehlspeise.“[x]

Abbildung 5: Im Keller des Hotels, 1949

Im Anschluss an das Interview führt mich Dominik durch das Hotel. Wir beginnen mit dem Keller. Bis heute finden sich hier Spuren der Lebensmittelaufbewahrung vergangener Jahrzehnte. Dominik öffnet eine Türe an der hinteren Wand der Gaststube. Verschlungene Gänge und breite Treppen führen immer weiter nach unten. Der Keller ist zweistöckig angelegt und direkt in den Fels gehauen. Mit der Taschenlampe meines Handys versuche ich, die ehemaligen Vorratsräume auszuleuchten. Wir kommen an einem alten Weinheber vorbei, an modernen Weinkartons und modrigen Überresten alter Fässer. Der nächste Stopp ist die Küche. Dort laufen gerade die Vorbereitungen für das sonntägliche Mittagsgeschäft. Ein Tellerwäscher reinigt Geschirr, eine junge Frau wäscht Salat, auf den Herden stehen dampfende Töpfe. Im Durchgang von der Küche zum Innenhof des Hauses knien zwei Männer über einen Abfluss gebeugt. Dominik sieht mich an und seufzt – „der tägliche Betrieb“, meint er.[xi]

Audioaufnahme 2: Geräuschkulisse der Küche des Hotels, 2022

Die letzte Generation der Familie Failler – Rückgang des Tourismus

1953 starb Ferdinand Failler mit nur 51 Jahren. Julia Failler musste sowohl die Kindererziehung als auch die Führung des Hotels allein meistern. Ihre Kinder waren noch jung, die finanzielle Situation der Familie schwierig. Kosten für eine hochmoderne Zentralheizung, die Arztrechnungen Ferdinands und die Ausbildung der Kinder mussten bezahlt werden. Bis ins hohe Alter behielt Julia Failler die Übersicht über die Finanzen des Hotels und gab diese Aufgabe nur ungern ab. Sie passte das Hotel stets an die sich wandelnden Bedürfnisse der Gäste an. Gegen den allmählichen Rückgang des Nächtigungstourismus in Niederösterreich Ende der 1960er-Jahre war aber auch sie machtlos. Die Wiener*innen fuhren nun lieber nach Italien[xii] oder leisteten sich einen Zweitwohnsitz.[xiii] „Es wurde langsam weniger. Zuerst blieben die Gäste vier Wochen, dann drei, dann nur mehr zwei Wochen in den Ferien“,[xiv] erinnert sich Erika Resel.

Abbildung 6: Hochzeitsfoto von Julia und Ferdinand Failler (führten das Hotel von ca. 1945 bis 1970), April 1937
Abbildung 7: Elisabeth di Giorgio (geb. Failler, Chefköchin und ab 1970 Mitbesitzerin des Hotels) in der Küche des Hotels, um 1960
Abbildung 8: Die sogenannte Fischerbar im Hotel, um 1950

Trotz alledem bestand der Gasthof weiter. Inzwischen hatte sich eine stabile Stammkundschaft etabliert. Kino, Diskothek und vor allem das Restaurant waren beliebt. Elisabeth, die älteste Tochter, lernte in Wien kochen. Sie setzte die feine Wiener Küche erfolgreich in dem Hotel ihrer Familie um. 

„Zum Wochenende hat es mehr gegeben: Kalbsvogerln mit Champignons, am Sonntag Kalbsnierenbraten, Schweinsbraten natürlich, irgendwelche Rindsschnitzel und die verschiedenen Beilagen wie Gemüse, gedünstetes Kraut, im Winter mehr Rotkraut. Ja, und da haben wir sogar Gäste gehabt, die sind immer aus Wien gekommen, wegen dem Kalbsnierenbraten am Sonntag“,[xv] erzählt sie und lacht. Gemeinsam mit ihrem Bruder Hannes übernahm sie das Hotel in den 1970er-Jahren.

Als wir die Treppen zu den Zimmern hochsteigen, kommt uns eine Reinigungskraft entgegen. In ihren Händen hält sie einen Sack mit schmutziger Wäsche. „Zimmer 20 ist auch schon frei.“, sagt Dominik im Vorbeigehen. Er bleibt vor einer alten Holztüre stehen. „Das ist das letzte Zimmer, das wir renoviert haben. Es ist diese Woche fertig geworden“, erklärt er und dreht den Schlüssel im Schloss. In der Einrichtung ist Altes mit Neuem verwoben. Originale Möbelstücke stehen vor auffälligen Tapeten.[xvi]

Abbildung 9: Eines der renovierten Zimmer im heutigen Hotel © Melanie Köberl

Das Hotel in der Corona-Pandemie – Boom der Sommerfrische?

Seit 2015 führt Dominik Bednar den Betrieb. Im Interview blickt er zurück: „Das war halt super von der Familie Failler, dass so viel Vorarbeit geleistet wurde. Also zum Beispiel Werbekosten haben wir fast keine. Für was?“[xvii] Wir lachen beide. Bis dato stieg der Umsatz jedes Jahr, ausgenommen in den Jahren der Pandemie, da der Betrieb 2020 fünf Monate schließen musste. „Es war immer mein Ziel, dass man die Sommerfrische wieder aufleben lässt. Als Corona gekommen ist, war auf einmal die Sommerfrische der Boom“,[xviii] erzählt er. Tatsächlich setzt auch die Niederösterreich Werbung inzwischen wieder auf die Sommerfrische.[xix] Der Werbeslogan „Einfach Erfrischend“[xx]spielt darauf an. Gefördert wird eine bürgerliche Art, Urlaub zu machen für anspruchsvolles Publikum – „Niederösterreich als Land für Genießer mit hochwertiger Lebenskultur“[xxi], ist auf der Website der Niederösterreich Werbung GmbH zu lesen.

Trotz alledem war Österreichs Tourismus von der Coronapandemie massiv betroffen. Sowohl 2020 als auch 2021 blieben die Übernachtungen in Österreich auf dem Niveau von 1970. Zwar gingen die Nächtigungszahlen der inländischen Tourist*innen nicht so stark zurück wie jene der Tourist*innen aus dem Ausland, aber auch hier bleibt ein deutliches Minus im Vergleich zu 2019.[xxii]

Im Hotel „Zum goldenen Lamm“ spiegeln sich historische Entwicklungen des niederösterreichischen Fremdenverkehrs und des generellen Urlaubsverhaltens. Die Geschichte des Hauses zeigt exemplarisch, wie Menschen Urlaub mach(t)en und welche Auswirkung diese Urlaubspraktiken auf einen Beherbergungsbetrieb haben.

Abbildungsverzeichnis

Postkarte: © Familie Resel, Andreas Resel

Abbildung 1: © Andreas Resel

Abbildung 2: © Familie Resel

Abbildung 3: © Helga Göth

Abbildung 4: © Helga Göth

Abbildung 5: © Familie Resel

Abbildung 6: © Familie Resel

Abbildung 7: © Familie Resel

Abbildung 8: © Familie Resel

Abbildung 9: © Melanie Köberl

Verzeichnis der Audioaufnahmen

Audioaufnahme 1: © Johanna Resel

Audioaufnahme 2: © Johanna Resel

[i] Vgl. Feldnotizen der Führung mit Dominik Bednar, geschrieben von Johanna Resel, am 16.10.2022.

[ii] Vgl. Kabak, Nevin: Die Sommerfrische. Ein Kind des Bürgertums des 19. Jahrhunderts. In: Schmidt-Lauber, Brigitta (Hg.): Sommer_frische. Bilder. Orte. Praktiken (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Wien, 37), Wien 2014, S. 49-57, hier S. 52f.

[iii] Vgl. Göttsch, Silke: «Sommerfrische» Zur Etablierung einer Gegenwelt am Ende des 19. Jahrhunderts. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 98 (2002), Heft 1, S. 9-15, hier S. 9.

[iv] Vgl. Waldstein, Mella: Strandbad Drosendorf – Wo Sommerfrische lebt. Geschichte – Kultur – Erinnerungen – Rezepte aus der Strandbadküche, Weitra 2020, S. 12.

[v] Vgl. Waldstein, Mella / Erasmus, Willi: Drosendorf. Großer Sommer an der Thaya. Erinnerungen an die Sommerfrische, Weitra 1998, S. 25.

[vi] Vgl. Waldstein, Strandbad Drosendorf, S. 10-12.

[vii] Interview mit Elisabeth di Giorgio, geführt von Johanna Resel, am 13.08.2022.

[viii] Vgl. Langreiter, Nikola: Niederösterreich Tourismus 1918-1995. In: Melichar, Peter / Langthaler, Ernst / Eminger, Stefan (Hg.): Wirtschaft. Niederösterreich im 20. Jahrhundert, Bd. 2, Wien / Köln / Weimar 2008, S. 123-164, hier S. 148.

[ix] Interview mit Erika Resel, geführt von Johanna Resel, am 21.11.2022.

[x] Ebda.

[xi] Vgl. Feldnotizen der Führung mit Dominik Bednar, geschrieben von Johanna Resel, am 16.10.2022.

[xii] Vgl. Langreiter, Niederösterreich Tourismus, S. 144.

[xiii] Vgl. Ebda, S. 148.

[xiv] Interview mit Erika Resel, geführt von Johanna Resel, am 21.11.2022.

[xv] Interview mit Elisabeth di Giorgio, geführt von Johanna Resel, am 13.08.2022.

[xvi] Vgl. Feldnotizen der Führung mit Dominik Bednar, geschrieben von Johanna Resel, am 16.10.2022.

[xvii] Interview mit Dominik Bednar, geführt von Johanna Resel, am 16.10.2022.

[xviii] Ebda.

[xix] Vgl. Waldstein, Strandbad Drosendorf, 2020, S. 22.

[xx] Die Niederösterreich Werbung (o.D.) Unternehmen: Wir über uns (niederoesterreich.at) (Zugriff: 06.12.2022).

[xxi] Ebda. (Zugriff: 06.12.2022).

[xxii] Vgl. Statistik Austria (Hg.): Tourismus in Österreich, Ergebnisse der Beherbergungsstatistik, Wien 2021, S. 19. Online unter: https://www.statistik.at/fileadmin/publications/Tourismus_in_OEsterreich_2020.pdf und Statistik Austria (Hg.): Tourismus in Österreich, Ergebnisse der Beherbergungsstatistik, Wien 2022, S. 21. Online unter: https://www.statistik.at/fileadmin/publications/tourismus_in_oesterreich_2021.pdf.