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Der große Aufschwung. Mönichkirchen nach 1945

Mönichkirchen ist eine kleine Ortschaft in Niederösterreich. Die Nachkriegszeit bringt zunächst einen beträchtlichen Anstieg der Besucherinnen und Urlauberinnen mit sich – Erholung und Naturgenuss gehen Hand in Hand.

Urlaub in der Nachkriegszeit: Wohin in Österreich? Nicht weit entfernt vom Semmering – einer bekannten Destination für die Sommerfrische – liegt Mönichkirchen. Der Ort befindet sich auf fast 1000 Meter Seehöhe an der Wechsel-Panoramastraße, am östlichen Rand des Wechselgebiets. Die Ortschaft blickt auf eine lange Geschichte des Fremdenverkehrs zurück und spiegelt in der Zeit von 1945 bis in die Gegenwart beispielhaft die Entwicklungen des inländischen Tourismus wider.

Abbildung 1: Eine Orientierungskarte für den Ort Mönichkirchen, auf einer Pinnwand der Pension Sonnenhof Hechtl.

Urlaub in der Nachkriegszeit

Schon seit Ende des 19. Jahrhunderts hießen das Hotel Lang und einige andere Unterkünfte in Mönichkirchen Gäste willkommen. Doch: „Der richtige Aufschwung kam ehrlich gesagt dann nach dem zweiten Weltkrieg“[i] stellt die Gastwirtin Margit Fuchs-Lang im Gespräch fest. Ihr Lokal, das rustikal eingerichtete Rasthaus Lang, auch bekannt als „Brettlbar“, ist eines der ersten Gebäude, das man mit dem Auto von Wien kommend vor dem Ortseingang sieht. Es vergegenwärtigt die Tourismusgeschichte des Ortes, denn es war einst Teil des Hotelimperiums Lang. Die Urgroßeltern der Inhaberin Margit Fuchs-Lang, Karl und Anna Lang hatten 1903 das Hotel Lang im Ortszentrum eröffnet, und von einer Generation an die nächste weitergegeben. Sie waren wichtige Impulsgeber*innen in der Geschichte des Fremdenverkehrs in Mönichkirchen. Das Hotel Lang wurde in den 1980er-Jahren verkauft und steht heute leer. Das Rasthaus Lang an der Wechselstraße hingegen wird weiterhin von der Familie betrieben. 1961 hat es seine Türen geöffnet und schon seit fast vierzig Jahren führt Margit Fuchs-Lang die Gaststätte, die sie von ihren Eltern übernommen hat.

Abbildung 2: Das an der Wechsel-Straße gelegene Rasthaus Lang in Mönichkirchen. Mitte der 1960er-Jahre. Hier machten vor dem Ausbau der Südautobahn viele Durchfahrende auf der Strecke zwischen Wien und Graz eine Pause.
Abbildung 3: Das heute von Margit Fuchs-Lang geführte Rasthaus Lang an einem Sommernachmittag 2022

Wie(so) die Gäste nach Mönichkirchen kamen

Die besten Zeiten des Hotels ihrer Familie hat Margit Fuchs-Lang als Kind erlebt, ähnlich wie der langjährige Hotelgast Rita D.. Die über 70 Jahre alte pensionierte Frau aus Wien kommt seit 1946 regelmäßig jeden Sommer nach Mönichkirchen. Als Kind reiste sie mit ihren Eltern und später mit ihrer eigenen Familie. In der Zeit nach 1945 verbrachten während des Sommers vor allem Wiener*innen ihren Urlaub für mehrere Wochen vor Ort. Rita erinnert sich: „Wir haben doch relativ viel zu Essen gekriegt, wahrscheinlich mehr als zuhause. Ein paar Leute sind sicher auch gekommen, um wieder ein bisschen Speck anzusetzen“.[ii]

Durch den Eisernen Vorhang veränderte sich die Zusammensetzung der Urlauber*innen. Wohlhabende Gäste aus den östlichen Nachbarländern Österreichs blieben aus, während der inländische Tourismus zunahm.[iii] Gerade wegen der Nähe zu Wien bot sich Mönichkirchen als bequem erreichbares Reiseziel an. Mit dem privaten Auto fuhren zu dem Zeitpunkt allerdings nur wenige Leute in den Urlaub. Üblicher war die Anreise mit dem Postbus oder dem sogenannten „Austrobus“, der Regionalbuslinie eines Busunternehmens: „Der ist bei der Universität [in Wien] weggefahren und ist nach Mönichkirchen gefahren, zu allen Hotels. Am Sonntag sind drei Busse gefahren, so voll waren die“,[iv] erinnert sich Rita.

Abbildung 4: Das von der Familie Lang über mehrere Generationen geführte Hotel Lang, Ende der 1950er-Jahre
Abbildung 5: Der Austrobus war für Gäste, die von Wien nach Mönichkirchen fuhren, eine praktische Alternative zur Aspangbahn. Aufgenommen vor dem Hotel Lang, um 1960

Nicht alle Menschen aus Wien konnten es sich finanziell leisten, im Sommer für mehrere Wochen in einem Hotel zu wohnen. Rita weiß noch, dass es oft Inhaber*innen und Betreiber*innen von Kleinbetrieben und Geschäften waren, in deren Gesellschaft sie und ihre Familie die Urlaube im Ort verbrachten – Fleischhauer*innen, Apotheker*innen, Installateur*innen, Inhaber*innen von Ledergeschäften etc. In den Gesellschaftsräumen des Hotels trafen sie zwischendurch auch auf andere soziale Schichten. So gab es etwa auf dem Dachboden des Hotels bis Ende der 1950er-Jahre ein Bettenlager, in dem Mitarbeiter*innen der Firma Kammgarn aus Vöslau jeweils für zwei bis drei Wochen im Sommer untergebracht wurden. Auch Reisende, die in den günstigeren Privatzimmern im Dorf wohnten, hielten sich im Hotel auf und sorgten neben den regulären Hotelgästen dafür, dass die vielen Veranstaltungen des Hotel Lang gut besucht waren. Viele Erzählungen über das Hotel Lang berichten von den Festen und Tanzabenden, dem freundlichen Personal und der Prominenz der Gäste. Die Europäische Ethnologin Nikola Langreiter fasst die Boom-Jahre des Tourismus nach dem Krieg in Niederösterreich folgendermaßen zusammen: „Mit dem sogenannten Wirtschaftswunder blühte der Fremdenverkehr in den 1950er und frühen 1960er-Jahren noch einmal auf; regelmäßige Urlaubsreisen wurden nun in vielen Milieus zur Selbstverständlichkeit“.[v]

Abbildung 6: Ein Eintrag im Gästebuch berichtet von den Festen und dem Essen im Hotel sowie von den Urlaubsaktivitäten: Schwammerln suchen im Sommer und Skifahren im Winter, September 1948
Abbildung 7: Gästeerinnerung an eine Silvesterfeier im Gästebuch des Hotel Lang, Jahreswechsel 1948/49
Abbildung 8: Das damalige ‚Tanz-Café‘ im Hotel Lang, fotografiert um 1960
Abbildung 9: In der Blütezeit des Nachkriegstourismus wurden im Hotel Lang fast jährlich neue Attraktionen und Gaststuben eröffnet, Flyer zur Eröffnung des Tennisplatzes des Hotel Lang, 1960

(Kur-)Gäste erwünscht. Mönichkirchen, der Luftkurort

Ab den 1950er-Jahren waren viele der Beherbergungsbetriebe – Hotels, Pensionen und Privatzimmer – gut ausgelastet. Mönichkirchen zählte Ende 1948 etwa 65.000 Übernachtungen pro Jahr,[vi] 1959 waren es über 140.000[vii] und 1969 nochmal circa 10.000 Nächtigungen mehr.[viii] Grund für diesen Zuwachs war unter anderem der Ausbau des Erholungstourismus. Ab den 1950er-Jahren waren vor Ort immer öfter nicht nur individuell anreisende Urlaubsgäste anzutreffen, sondern auch Gäste, denen über öffentliche Einrichtungen wie etwa Krankenfürsorgeanstalten, ein Aufenthalt in Mönichkirchen ermöglicht wurde. Das damalige Hotel Hochwechsel stellte sich als Erstes auf diesen neuen Gästetyp ein, später folgten auch das Hotel Binder und das Hotel Thier. Eine vergleichbare Entwicklung war auch in anderen Fremdenverkehrsregionen in Niederösterreich zu beobachten: „[Es] wurden die alten Grandhotels und große Pensionen in Erholungsheime umgewandelt, Konzerne, Krankenkassen und Gewerkschaften übernahmen – etwa auf dem Semmering – die Regie“.[ix] Die Krankenfürsorgeanstalten und andere öffentliche Einrichtungen reservierten Kontingente an Betten in Unterkünften, damit bedürftige Menschen, die sich einen gewöhnlichen Aufenthalt kaum hätten leisten können, sich in Mönichkirchen erholen konnten. Die Unterbringung solcher Gästegruppen bedeutete für Hotelbetriebe und Wirtshäuser im Ort vor allem Planungssicherheit und wenig Aufwand im Anwerben neuer Gäste, aber auch, so sagen ältere Stammgäste, einen Prestigeverlust. 

Abbildung 10: Abziehkleber Mönichkirchen, gedruckt um 1976
Abbildung 11: Ein Zentrum des Kurbetriebes in Mönichkirchen: das Hotel Hochwechsel Ende der 1940er- Jahre

Die neuen Gäste nahmen am touristischen Alltag Mönichkirchens teil. Sie mussten allerdings Regeln befolgen und zum Beispiel eine Nachtruhe um 22 Uhr einhalten. Ein lokaler Unternehmer erzählt von den wenigen möglichen Aktivitäten für die Erholungsgäste: „Die sind halt jeden Tag auf die Schwaig marschiert oder aufs Hallerhaus oder sie sind mit dem Sessellift gefahren. Es hat ja wenig Highlights gegeben sonst.“[x] Es gibt auch Stimmen im Tourismus, die der Meinung waren, dass die „Krankenkassagäste“ dem Tourismus geschadet hätten. Die Gewissheit, dass Gäste ohnehin in großer Zahl kommen, habe zu wenig Engagement und Einfallsreichtum geführt. „Die Hütt‘n war eh voll“, sagte ein lokaler Hotelier; die Betriebe mussten sich nicht bemühen.

Anfang der 1990er-Jahre kam es zu einer Umstrukturierung der Krankenkassen, womit Erholungsaufenthalte nun nicht mehr finanziert wurden. Das sollte sich auf Mönichkirchen negativ auswirken.

Abbildungsverzeichnis

Postkarte: © Privatbesitz Margit Fuchs-Lang

Abbildung 1: © Fotografie von Tabea Christa, 03.12.2022

Abbildung 2: © Privatbesitz Margit Fuchs-Lang

Abbildung 3: © Fotografie von Tabea Christa, 03.08.2022

Abbildung 4: © Privatbesitz Margit Fuchs-Lang

Abbildung 5: © Privatbesitz Margit Fuchs-Lang

Abbildung 6: © Privatbesitz Margit Fuchs-Lang

Abbildung 7: © Privatbesitz Margit Fuchs-Lang

Abbildung 8: © Privatbesitz Margit Fuchs-Lang

Abbildung 9: © Privatbesitz Margit Fuchs-Lang

Abbildung 10: © Archiv Gemeinde Mönichkirchen

Abbildung 11: © Archiv Daniela Krautgartner

[i] Interview mit Margit Fuchs-Lang, geführt von Tabea Christa, am 3.8.2022.

[ii] Interview mit Rita D. (Pseudonym), geführt von Tabea Christa, am 2.8.2022.

[iii] Vgl. Langreiter, Nikola: Niederösterreich Tourismus 1918–1995. In: Melichar, Peter / Langthaler, Ernst / Eminger, Stefan (Hg.): Niederösterreich im 20. Jahrhundert, 2. Bd., Wien / Köln / Weimar 2008, S.123-164, hier S.144. 

[iv] Interview mit Rita D. (Pseudonym), geführt von Tabea Christa, am 2.8.2022.

[v]  Langreiter, Niederösterreich Tourismus 1918–1995, S.142.

[vi] Eder, Anton: Übelbach heißt die Gemeinde – Vom vergessenen Bergdorf zur trendigen Sommerfrische: Mönichkirchen am Wechsel. In: Hagenhofer, Johann / Dressel, Gert / Sulzgruber, Werner (Hg.): Eine versunkene Welt. Jüdisches Leben in der Region Bucklige Welt – Wechselland, Berndorf 2019, S.163-174, hier S. 171. 

[vii] Vgl. Amt der Niederösterreichischen Landesregierung (Hg.): Der Fremdenverkehr in Niederösterreich. Berichtsjahr 1969 (=Heft 15), Wien 1970.

[viii] Vgl. Amt der Niederösterreichischen Landesregierung (Hg.): Der Fremdenverkehr in Niederösterreich im Berichtsjahr 1959, Wien 1960.

[ix] Langreiter, Niederösterreich Tourismus 1918–1995, S.143.

[x] Interview mit Alois Reithofer, geführt von Tabea Christa, am 3.8.2022.