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Low-Budget-Urlaub – Vom einfachen Tagesausflug zum Reisetrend

Der alljährliche Sommerurlaub ist eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit. Das war jedoch nicht immer so, besonders für Menschen mit wenig Geld.

Urlaubsanspruch für alle

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts war Urlaub nur vermögenden Familien des Bürgertums vorbehalten, denn arbeitsfreie Zeit war für Arbeiter*innen und Angestellte in Österreich gesetzlich nicht geregelt.[i] Das änderte sich erst mit dem Beschluss des Arbeiter-Urlaubsgesetzes 1919, das allen Arbeitnehmer*innen eine Woche bezahlten Urlaub ermöglichte.[ii] Hotel-Urlaube und eine mehrwöchige Sommerfrische konnten sich dennoch nur die bürgerliche Oberschicht leisten. Tagesausflüge und Übernachtungen bei Verwandten waren die Urlaubsform der einfachen Arbeiterschaft.[iii]

Erst durch das sogenannte Wirtschaftswunder der 1950er-Jahre wurde die vormals elitäre Praxis zu einem gesellschaftlichen Breitenphänomen. Fast alle Menschen fanden Arbeit, die Arbeitszeiten wurden verkürzt, und 1965 wurde schließlich das Urlaubsrecht um eine dritte Urlaubswoche erweitert.[iv] Die neu erworbene Freizeit verbrachten Arbeitnehmer*innen mit kurzen Ausflügen und Urlaubsreisen. Die Nachfrage nach günstigen Fremden- und Privatzimmern stieg dadurch stark an.[v] Wer die Kosten jedoch geringer halten wollte oder musste, kam weiterhin bei Verwandten unter oder unternahm kleinere Ausflüge in die Region.

Der „einfache“ Urlaub mit dem Rad

Klara L.[vi], die in den 1950er-Jahren auf einem Bauernhof im Waldviertel aufwuchs, erinnert sich an Radausflüge in ihrer Kindheit als erste Urlaubserfahrungen. Ohne konkretes Ziel fuhr ihre Familie über das Wochenende fort, um Zeit in der Natur zu verbringen. Sie erzählt:

 „Wir hatten so einen kleinen Anhänger dabei, da bin ich drin gesessen mit ein paar Kissen. Wenn wir müde waren, haben wir beim nächsten Bauernhof gefragt, ob wir im Heuschober übernachten dürfen. […] Am nächsten Morgen haben wir noch Frühstück bekommen und dann sind wir weiter geradelt.“[vii]

Gekostet haben die Ausflüge samt Verpflegung nichts. Jeder Hof habe bei Bedarf die Scheune zur Verfügung gestellt, so wie ihre Familie es auch praktiziert hat. Der gegenseitigen solidarischen Gastfreundschaft in der Region kam eine zentrale Rolle zu, um Urlaubstage auswärts verbringen zu können. Die geringen Ansprüche an den Urlaub sind Folge und Ausdruck der Lebensrealität vieler Österreicher*innen in den Nachkriegsjahren. Sparsamkeit und Bescheidenheit prägten noch immer das Konsumverhalten der Bürger*innen.[viii] Klara L. resümiert: „Das war noch ein ganz einfaches Leben. […] Wir hatten nicht viel. Aber das war nicht schlimm. Wir waren auch mit wenig zufrieden.“[ix]

Abbildung 1: Für Klara L. bestand Urlaub in den 1950er-Jahren aus kurzen Radausflügen in die Umgebung mit Übernachtungen im Heuschober.

Der Urlaub bei Verwandten

Urlaub bedeutete oftmals Besuch bei Verwandten. Auch Klara L.’s Familie verbrachte in den 1960er-Jahren die jährlichen Urlaubstage bei Verwandten des Vaters. Eine Kiste voller Obst und Gemüse aus dem Eigenanbau wurde als Aufwandsentschädigung für die kostenfreie Übernachtung mitgebracht. Der Urlaub bei Verwandten hatte aber neben finanziellen Gründen noch eine weitere wichtige Funktion: die Pflege der Familienkontakte. Klara L. erzählt:

„Mein Vater hatte sechs Geschwister und die sind alle um Gmünd geblieben. Wenn wir dann zu Besuch kamen, waren alle da. Meine Tanten, Onkels, Cousinen und Cousins. Wir haben uns ja nicht so oft gesehen. […] Und Telefonieren war teuer. […] Für uns war es einfach wichtig, gemütlich miteinander Zeit zu verbringen.“[x]

Das gesellige Beisammensein der Großfamilie stand im Zentrum des Aufenthalts. Urlaub war eine Zeit, die dem sozialen Miteinander und den Familienbeziehungen gewidmet wurde. Die jährliche Planung und Koordination der Besuche waren deshalb eine feste Abmachung.

Für Landwirt*innen wie Klaras Familie brachte eine Urlaubsreise besondere logistische Herausforderungen mit sich. Die fortlaufende Arbeit auf dem eigenen Bauernhof musste immer bedacht werden. Vater, Mutter und Tochter konnten daher nur außerhalb der Erntezeiten verreisen, wenn die Großeltern die bäuerlichen Pflichten übernehmen konnten.

Abbildung 2: In den 1960er-Jahren verbrachte Klara L. mit ihren Eltern den Urlaub immer bei Verwandten.

Die Ferne ruft

Mit steigendem Einkommen, verlängertem Urlaubsanspruch und der breiten Motorisierung der Gesellschaft änderte sich auch das Reiseverhalten. Während der Besitz eines Autos in den 1950er-Jahren noch als Zeichen von Wohlstand galt, wurde das Fortbewegungsmittel in den 1970er-Jahren zur Selbstverständlichkeit.[xi] Urlaube in anderen Bundesländern und dem Ausland konnten sich nun immer mehr Menschen ermöglichen.[xii]

Mit dem Kauf eines Autos in den 1970er-Jahren begannen auch für Klara L. erste Reisen in die Ferne. Statt den Urlaub bei Verwandten zu verbringen, machte die frisch verheiratete Apothekenhelferin zum ersten Mal Kurzurlaub in Italien. Sie erzählt: „Damals sind einfach alle nach Italien. […] Das war mir dann auch wichtig. Ich wollte ja auch was von der Welt sehen.“[xiii] Das Reiseverhalten der „anderen“ wurde für Klara L. zum zentralen Faktor bei der Urlaubsortswahl. Die Reise in die Ferne war mit höheren Kosten verbunden, dennoch versuchte das Paar wenig auszugeben. „Uns ging’s finanziell nicht schlecht. Wir haben ja auch beide Geld verdient. […] Wir haben aber immer versucht zu sparen.“[xiv] Um die Kosten begrenzt zu halten, verreiste das Paar in der Nebensaison, übernachtete in einfachen Fremden- und Privatzimmern und verbrachte die Tage mit Spaziergängen in der umliegenden Landschaft. Mit Proviant im Rucksack versorgte sich das Ehepaar selbst. Restaurantbesuche blieben die Ausnahme. Klara L. bilanziert: „Überhaupt in den Urlaub zu fahren nach Italien […], das war schon etwas Besonderes für uns.“[xv]

Abbildung 3: Durch die Anschaffung eines privaten Fahrzeugs in den 1970er-Jahren wurde für Klara L. der erste Kurzurlaub in Italien möglich.

Das Beispiel der Klara L. verdeutlicht, wie das private Fahrzeug neue Möglichkeiten eröffnete, mit gesellschaftlichen Trends mitzuhalten und Sehnsüchten nachzugehen. Vom Reiseverhalten der „anderen“ angetrieben, wurde Urlaub zum Ausdruck sozialer Teilhabe. Besuche bei Verwandten hatten nicht mehr den Stellenwert eines „Urlaubs“, sondern waren kürzere Wochenendausflüge, die durch das eigene Auto teils sogar ohne Übernachtung möglich wurden. Statt die Urlaubstage bei Verwandten zu verbringen, rückte das Sammeln neuer Erfahrungen und Eindrücke an fremden Orten ins Zentrum des Urlaubs.

Urlaub mit kleinem Budget konnte und kann also Ausdruck ökonomischer Möglichkeitsräume und -grenzen, aber gleichzeitig einer Werteorientierung/Werthaltung sein (z. B. Sparsamkeit als Lebenshaltung). Dies zeigt sich auch bei neuen kostengünstigen Formen des Urlaubmachens in der Gegenwart, die zur Frage der Bedeutung des Urlaubmachens führt.

Low-Budget-Urlaub als bewusste Wahl

Heute, in Zeiten des Massentourismus, ist Reisen zu einem festen Bestandteil der Freizeitgestaltung geworden. Die große Bandbreite von klassischem Hotelurlaub bis Wohnungstausch[xvi] verdeutlicht, wie individuell die Wahl der Urlaubsform und -gestaltung ist. Es haben sich auch günstige Reiseformen wie das Couch-Surfen, Wohnungstausch oder auch das DIY-Campervaning[xvii] etabliert, die teils nicht nur von ökonomischen, sondern auch von sozialen und ideologischen Motiven geleitet sind, wie etwa Nachhaltigkeit, ‚Authentizität‘, wachsendes ökologisches Bewusstsein oder Konsumkritik. Sie sind Ausdruck alternativer Lebensstile und deuten auf bewusste Entscheidungen in Abgrenzung zum Massenkonsum hin. Wer günstigen Urlaub machen will, findet im Internet daher viele Angebote, Tipps und Berichte über das „Low-Budget-Reisen“.

Wie Urlaub letztendlich gemacht wird, hängt maßgeblich von individuellen Bedürfnissen ab. Für die Studentin Marie B.[xviii] ist Urlaub immer mit Klettern verbunden. Da sie auf ein Auto angewiesen ist, um passende Klettergebiete erreichen zu können, reist sie gemeinsam mit ihrem Freund im DIY-Campervan. Dadurch fallen nicht zuletzt die Kosten für Unterkünfte weg, zudem erlaubt die eingebaute Kochnische die Selbstverpflegung. Nahrungsmittel sowie Kleidung, Ausrüstung und alltägliche Gegenstände finden Stauraum im Van. Durch das individualisierte Reisen können Reiserouten jederzeit angepasst und geändert werden. Das Zusammenspiel von Spontaneität und geringen Kosten dieser Urlaubsform bedeutet für Marie B. ein Gefühl der Freiheit. Sparsamkeit ist darin Ausdruck einer Haltung und Kritik am Massenkonsum unserer Gesellschaft. Ein bewusst gewähltes reduziertes Leben wird zum Leitbild der Urlaubsgestaltung.

Abbildung 4: Mit dem selbst umgebauten Campervan bereist Studentin Marie B. mit ihrem Freund das Land, dabei sparen sie Unterkunftskosten.

Alternative Urlaubsformen diesen Stils erfordern i. d. R. eine intensive Planung und Vorbereitung. Ein gelungener Low-Budget Wanderurlaub setzt für Student Matthias R.[xix] eine intensive Recherche im Internet und in Reiseführern für Wanderurlaub voraus. Mautstraßen, Wanderrouten, Spritpreisrechner und das Abgleichen der angegebenen Unterkunftskosten mit einem Anruf bei Gastgeber*innen sind notwendig für die Organisation des Urlaubs. Aus finanziellen Gründen entscheidet sich Matthias R. für Privatzimmer mit Selbstverpflegung und das Reisen in der Nebensaison.[xx] Als Urlaubszeit wählt er stets Wochen, in denen weniger andere Tourist*innen anzutreffen sind. Schließlich soll die Zeit in den Bergen der Erholung fernab von Medienkonsum, Alltagsroutinen und Großstadtstress dienen. „So ein Wanderurlaub in der brutalen Natur ist halt auch total erlebnisreich. […] Da weißt du nie, was du als Nächstes siehst. Das erdet dich total. Man kriegt einen anderen Blickwinkel. Quasi so ein Aufbrechen von deinen ganzen Routinen.“[xxi] Urlaub und Urlaubserfahrungen dienen als Gegenpol zum Alltag.

Abbildung 5: Für den Wanderurlaub in den Bergen recherchiert Student Matthias R. intensiv nach kostengünstigen Angeboten im Internet und Reiseführern.

Low-Budget-Urlaub im Wandel der Zeit

„Urlaub mit kleinem Budget“ unterlag in der Nachkriegszeit offensichtlich einem gesellschaftlichen Wandel: Zunächst und vielfach waren es ökonomische Rahmenbedingungen, die zu einer kostensparenden Urlaubspraxis führten. Während zu Beginn der 1950er- und 1960er-Jahre, wie in Klara L.’s Beispiel, oftmals Beziehungen und Budget zentral für die Urlaubsgestaltung waren, rücken in modernen Low-Budget-Reiseformen häufig andere Kriterien wie individuelle Bedürfnisse und Werte ins Zentrum der Praxis. Zwar können auch heute viele Menschen aus finanziellen Gründen entweder gar nicht verreisen oder fahren zu Verwandten oder Freund*innen, um dort ihre Urlaubstage zu verbringen. Der moderne Low-Budget-Urlaub kann jedoch auch eine bewusste Entscheidung sein.

Im Ergebnis zeigen sich unterschiedliche Beweggründe und Motive für einen finanziell niederschwelligen Urlaub, je nach ökonomischen Möglichkeiten, ideologischen Haltungen und persönlichen Ansprüchen.

Abbildungsverzeichnis

Postkarte: © Carolin Ave und Jesse Box

Abbildung 1: © Carolin Ave und Jesse Box

Abbildung 2: © Carolin Ave und Jesse Box

Abbildung 3: © Carolin Ave und Jesse Box

Abbildung 4: © Carolin Ave und Jesse Box

Abbildung 5: © Carolin Ave und Jesse Box

[i] Vgl. Pellar, Brigitte (2019, 22. August). Urlaub. Vom Privileg zum Rechtsanspruch. A&W Blog. https://awblog.at/urlaub-vom-privileg-zum-rechtsanspruch/ (Zugriff: 15.01.2023).

[ii] Vgl. Spode, Hasso: Der Tourist. In: Frevert, Ute / Haupt, Heinz-Gerhard (Hg.): Der Mensch des 20. Jahrhunderts. Frankfurt / New York 1999, S. 113–137, hier S. 131f.

[iii] Vgl. Spode, Der Tourist, S. 123.

[iv] Vgl. Ebda., S. 231.

[v] Vgl. Langreiter, Nikola: Niederösterreich Tourismus 1918–1995. In: Melichar, Peter / Langthaler, Ernst / Eminger, Stefan (Hg.): Wirtschaft. Niederösterreich im 20. Jahrhundert. Band 2, Wien / Köln / Weimar 2008, S. 123–164, hier S. 142.

[vi] Interview mit Klara L. (Pseudonym), geführt von Carolin Ave, am 07.10.2022.

[vii] Ebda.

[viii] Vgl. Eder, Franz X.: Vom wirtschaftlichen Mangel zum Konsumismus. Haushaltsbudgets und privater Konsum in Wien. 1918–1995. In: Michael Dippelreiter et al. (Hg.): Wien seit 1945. Die Metamorphose einer Stadt. Wien 2013, S. 209–82, hier S. 227.

[ix] Interview mit Klara L. (Pseudonym), geführt von Carolin Ave, am 07.10.2022.

[x] Ebda.

[xi] Vgl. Eder, Vom wirtschaftlichen Mangel zum Konsumismus, S. 243.

[xii] Vgl. Langreiter, Niederösterreich Tourismus 1918–1995, S. 144.

[xiii] Interview mit Klara L. (Pseudonym), geführt von Carolin Ave, am 28.10.2022.

[xiv] Ebda.

[xv] Ebda.

[xvi] Beim Wohnungstausch wird die eigene Wohnung zeitlich begrenzt mit einer fremden Wohnung im gewünschten Urlaubsort (z.B. London) getauscht. Der Tausch ist als preisgünstige Alternative für Reisende gedacht, die bereit sind, andere Personen in den eigenen vier Wänden wohnen zu lassen. So können sich beide Parteien die Kosten für Unterkünfte sparen.

[xvii] Beim DIY-Campervaning kaufen sich Menschen einen Van bzw. Transporter, den sie selbst zum Campervan umbauen. Dabei wird der Van mit Kochnische, Stauraum, Bett und evtl. DIY-Dusche eingerichtet, um dann im mobilen Heim verreisen zu können. Viele DIY-Camper machen das nur am Wochenende, andere verreisen über längere Zeit und manche steigen ganz aus und leben dauerhaft im Van.

[xviii] Interview mit Marie B. (Pseudonym), geführt von Carolin Ave, am 16.09.2022.

[xix] Interview mit Matthias R. (Pseudonym), geführt von Carolin Ave, am 22.09.2022.

[xx] Vgl. Ebda.

[xxi] Ebda.