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Mütter packen aus: Über die Planung des Familienurlaubes

Bald geht es los, die Koffer stehen bereit. Noch sind sie leer, doch die Packliste ist schon geschrieben, die Abreise ist in Detailschritten geplant.

Eine Liste von To-dos im Kopf bereitet Gerda K.[i], Mutter von zwei Kindern, selbstständig erwerbstätig, akademisch gebildet und aus bürgerlichem Milieu, auf den Familienurlaub vor. Nach und nach arbeitet sie alle Punkte ab, damit dem entspannten Urlaub nichts im Wege steht. Das Planen und Pläneschmieden ist stets eine zeitliche und emotionale Annäherung an den Urlaub.[ii] Gerda K. berichtet von ihren Urlaubsvorbereitungen:

„Also in der Planung, da war das so, […], dass ich eigentlich immer alles vorbereitet habe, […] schon Tage vorher, Listen schreiben, […] Wäsche waschen, […] Medikamente besorgen, […] Shampoo über die Sonnencreme, das alles vorzubereiten, die Koffer herzurichten, die Blumen zu gießen, jemanden zu organisieren, der die Blumen gießt, bei uns auch immer die Katzen zu versorgen […]“[iii]

Um bei der Reise die richtigen Dinge (wieder) griffbereit zu haben, bedient sie sich der „Kulturtechnik Auflisten“[iv]. Der Buchmarkt bietet tatsächlich Anleitungen zum richtigen Packen an, die sich in Reiseführern[v] und Reisetagebüchern finden.

Abbildung 1: Vorlagen für die Reiseplanung

Stefanie B.[vi], Mutter von zwei Kindern und als Angestellte eines Kindertagesheimes die Listenerstellung für Einkäufe bzw. Besorgungen im beruflichen Kontext gewohnt, führte ihre Packlisten für den Familienurlaub handschriftlich. Die Urlaube hatte ihre Familie in den 2000er-Jahren am Campingplatz oder in Appartements verbracht, wo sie sich zum Großteil selbst versorgten. Auf ihrer Liste finden sich dementsprechend auch Haushaltsartikel, die von zu Hause mitgenommen wurden bzw. einzukaufen waren.

Abbildung 2: Packliste – handgeschrieben von Stefanie B. für den Sommerurlaub 2001 in Frankreich

Um ihren Familienurlaub genießen zu können, werden von Stefanie B. Bedürfnisse und Wünsche mithilfe des Aufschreibens und Auflistens antizipiert. Sie möchte ihren Lebensstandard auch am Urlaubsort halten: Dafür denkt sie vom passenden Kleidungsstück bis hin zum Radio für die Urlaubsmusik an alles.

Die Europäische Ethnologin Klara Löffler konstatiert über die Urlaubsvorbereitung: „Im Packen kommt alles zusammen: das Nötige, das Praktische, das Komfortable, das Wünschenswerte“.[vii] Auch Gerda K. möchte alles, auch „die Nagelschere oder das Antibiotikum“[viii] im Urlaub griffbereit haben. Sie möchte für alle Eventualitäten ausgestattet sein und gerät dabei in den von Klara Löffler beschriebenen Zwiespalt. Das Dilemma zwischen dem, ein Minimum an Dingen einzupacken und damit größtmögliche Freiheit der Bewegung zu erreichen und dem, mit dieser Auswahl auch für unterschiedlichste Situationen gerüstet zu sein, ist nicht aufzulösen.[ix] Deshalb packt Gerda K. auch Medikamente ein, um im Urlaub keine Zeit für Apothekenbesuche zu verschwenden. „Ich mag das einfach nicht, wenn ich Kopfweh hab und ich hab kein Aspro mit. […] sicher zehnmal zu viel, aber ich hab es einfach mit. Da lacht mich auch jeder aus.“[x]

Sobald die Planung abgeschlossen ist, beginnt die Umsetzungsphase. Erst gilt es, die Koffer zu packen und in Folge – handelt es sich bei der Urlaubsreise um eine Reise mit dem Auto – das Gepäck zu verstauen.

Abbildung 3: Vollbeladenes Auto für den Familienurlaub

Die Urlaubsvorbereitung zeigt speziell in diesem Milieu „klassisch“ bürgerliche Geschlechterrollen, die sich zäh zu halten scheinen. In den Erzählungen von Gerda K. wird die stereotype Rollen- und Aufgabenverteilung in ihrer Ehe deutlich: Als Frau ist sie für das physische und psychische Wohlergehen aller mitreisenden Familienmitglieder verantwortlich, während ihr Mann alle Dinge rund um das Auto und die Fahrt organisiert.

„[D]ie technischen Sachen und alles mit dem Auto, das hat Harald dann immer gemacht. Beim Schifahren hat alles er mit den Schiern, Schischuhen und dicken Sachen eingeräumt, also auch die Dachbox, das war seins. Aber alles, was die Kinder [betrifft], komplett meins sowieso [und] alles, was Waschsachen war, [das] alles [auch]. Der Klassiker auch, dass er [Ehepartner] gesagt hat, wir nehmen immer zu viel mit […]. Ich bin erst dann entspannt, wenn ich alles mit hab.“[xi]

Die geschlechtsspezifisch zugewiesenen Verantwortlichkeiten und Aufgaben können Konflikte auslösen, wie überhaupt im Urlaub und bei der Urlaubsvorbereitung besonders leicht Spannungen zwischen Ehepartner*innen entstehen können. Die Historikerin Ursula Beer hat die soziale Konstitution der Geschlechterverhältnisse als Ungleichheitssystem aus männlicher Überlegenheit und weiblicher Unterordnung aufgezeigt, das systemischen Charakter besäße und in jedem gesellschaftlichen Bereich zu finden sei.[xii] Die Arbeitsteilung realisiert eine kulturelle Konstruktion und Zuschreibung geschlechtsspezifischer Attribute, die fortlaufend performativ erzeugt werden.[xiii]

Auch in der Gestaltung, Planung und Umsetzung eines gemeinsamen Urlaubs zeigt und (re)produziert sich die Familie als soziale Gruppe mit unterschiedlichen Rollen und Generationen. Urlaub ist damit eine Form des „doing family“ – ein aktiver Gestaltungsprozess in Familienbeziehungen im gesellschaftlichen Kontext, in dem Alltagshandlungen und Aushandlungsprozesse in den Vordergrund rücken.[xiv]

Zur Familie zählen auch Kinder, die in den Verantwortlichkeiten eine Sonderrolle einnehmen. Für Franziska B.[xv], die in den 1950er-Jahren in Wien aufwuchs, spielt das Thema Packen keine Rolle in der Kindheitserinnerung an Urlaub, sie kann sich nicht einmal richtig entsinnen:

„Ich kann heute immer noch nicht sagen, wo wir das Gepäck für fünf Personen hatten. [A]lso ich nehm an, […] beim Käfer konntest du ja vorne einen Koffer reinlegen […] und hinten, hinter den Sitzen hast auch noch einen aufstellen können. Sicher nicht am Dach, wegen des Stoffdaches, weil wenn wir durch die Berge gefahren sind, so Serpentinen, […] war das Dach offen und ich durfte da dann stehend fahren. Ist heute unvorstellbar.“[xvi]

Zum Thema „Koffer packen“ hatte ich auf Facebook einen Aufruf gestartet, dem ausschließlich Mütter gefolgt sind, deren Kinder mittlerweile dem Schulkindalter entwachsen sind. Sie alle fühlten sich in den letzten zwanzig Jahren in ihren Familien für die Urlaubsplanung und das Kofferpacken verantwortlich. Noch immer sehen sich offensichtlich primär Frauen in Österreich für diese Aufgabe zuständig. Sie nehmen eine Care-Rolle ein, die „persönliche Beziehungen in Familien zusammenhält und Bindungen stiftet, sei es als Erwartung aneinander oder als praktisches Tun.“[xvii]

Abbildungsverzeichnis

Postkarte: © Birgit Palasser, https://pixabay.com/de/photos/gepäck-kofferraum-voll-urlaub-auto-611004/

Abbildung 1: Foto des Buches „Reiseplaner“ und aus dem Buch „Unser Camping Tagebuch“ (Seite 23), © Birgit Palasser

Abbildung 2: Ausschnitt aus der Packliste von Stefanie B. (Pseudonym), aus Privatbesitz

Abbildung 3: https://pixabay.com/de/photos/gepäck-kofferraum-voll-urlaub-auto-611004/
Download vom 12. Jänner 2023

[i] Pseudonym.

[ii] Vgl. Löffler, Klara: Im Gepäck. Phantasien und Praktiken des Kontextwechsels auf Reisen. In: Greub, Thierry / Sinah / Kloss, Theres / Thoralf Schröder (Hg.): Kontextwechsel und Bedeutung, Paderborn 2021, S. 35-48, hier S. 35.

[iii] Gespräch mit Gerda K. (Pseudonym), geführt von Birgit Palasser, am 20. Oktober 2022.

[iv] Löffler, Im Gepäck, S. 38.

[v] Vgl. Ebda.

[vi] Pseudonym.

[vii] Löffler, Im Gepäck, S. 37.

[viii] Gespräch mit Gerda K. (Pseudonym), geführt von Birgit Palasser, am 20. Oktober 2022.

[ix] Vgl. Löffler, Im Gepäck, S. 37.

[x] Gespräch mit Gerda K. (Pseudonym), geführt von Birgit Palasser, am 20. Oktober 2022.

[xi] Ebda.

[xii] Vgl. Beer, Ursula: Geschlecht, Struktur, Geschichte. Soziale Konstituierung des Geschlechterverhälnisses, Frankfurt am Main 1991, S. 11.

[xiii] Vgl. Lipp, Carola: Die Erzeugung männlicher Bedeutsamkeit als interaktiver und strukturbildender Prozeß. In: Köhle-Hezinger, Christel / Scharfe, Martin / Wilhelm Brednich, Rolf (Hg.): Männlich. Weiblich. Zur Bedeutung der Kategorie Geschlecht in der Kultur, Münster 1999, S. 147-159, hier S. 147f.

[xiv] Vgl. Jurczyk, Karin / Lange, Andreas / Thiessen, Barbara (Hg.): Doing Family. Warum Familienleben heute nicht mehr selbstverständlich ist. Einleitung. In:  Dies. (Hg.): Doing Family. Warum Familienleben heute nicht mehr selbstverständlich ist, Weinheim / Basel 2014, S. 7-49, hier S. 11.

[xv] Pseudonym.

[xvi] Gespräch mit Franziska B. (Pseudonym), geführt von Birgit Palasser, am 09. Oktober 2022.

[xvii] Jurczyk / Lange / Thiessen, Doing Family, S. 9.