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Urlaubsfotografie: Von Menschen und Landschaften

Fotos sind Gegenstand der Alltagskultur. Sie erzählen private Geschichten und geben Einblick in konkrete Situationen und Erlebnisse. Ob Schnappschüsse von Personen oder gezielt inszenierte Ereignisse: Wie und wo wir uns ablichten lassen, verrät einiges über unseren Blick auf die Umgebung und uns selbst, über das Setting und den zeitlich-gesellschaftlichen Umstand, in dem das Foto entstand. So gesehen mischen sich in persönlichen Fotoalben private Geschichten mit Gesellschaftsgeschichte.[i]

Abbildung 1: Wander*innen in den österreichischen Bergwelten, 1947

Zur Bedeutung von Fotos

Fotos und anderes Bildmaterial beeinflussen Wunschvorstellungen vom und Erwartungen an das Reiseziel. Ratgeberliteratur gab seit Beginn der 1970er-Jahre Erlebnis-Tipps zur Urlaubsgestaltung. Fotografien illustrieren empfehlenswerte Aktivitäten und vermitteln konkrete Erwartungen an den Ort. Der Historiker Cord Pagenstecher erkennt einen Erlebnisdrang: Die Reisenden wollen im Urlaub die medial vermittelten Vorstellungen persönlich erfahren und ihrerseits fotografieren.[ii]

Privatfotografie und persönliche Fotoalben nehmen im 20. Jahrhundert zu. Das geläufigste Medium des Sammelns, Aufbewahrens und Präsentierens von Fotografien ist das Fotoalbum.[iii] Dazu werden die Fotos bearbeitet, entwickelt, in eine Ordnung gebracht, eingeklebt und oftmals kommentiert. Das Album kann regelrecht zum multimedialen Narrativ mit Bildern und Texten werden: Ein illustriertes Reisetagebuch.

Bis in die 1990er-Jahre war Fotografieren noch mit einigem Aufwand verbunden: Filme mussten gekauft, mit in den Urlaub genommen, gewechselt, aufbewahrt und entwickelt werden. Die Bilder waren nicht sofort verfügbar und bis die Abzüge vorhanden waren, war nicht klar, ob alle Motive etwas geworden sind. Das kostete Zeit und Geld. In den 2000er-Jahren nahm dann die digitale Fotografie zu und verändert die Materialität der Bilder und ihren Verbreitungsgrad gewaltig. Bilder sind nun sofort verfügbar und es lässt sich vor Ort überprüfen, ob das Foto den Wünschen entspricht. Auch die Anzahl der aufgenommenen Fotos steigt, da der Speicherplatz der Kameras mehr als bloß 36 Fotos (gängig für analoge Fotofilme) umfasst.

Social Media Plattformen tragen dazu bei, dass diese Bilder vielfach geteilt und verbreitet werden. Fotos sind für die breite Masse verfügbar.[iv] Fotografie und Bildformen sind längst allgegenwärtig. Die geläufige Praxis, sich mittels Selfies darzustellen und Ausflugs-, Party- oder Essensfotos zu posten, ist Ausdruck eines Lebensstils und Selbstverständnisses und prägt diese zugleich.

Gerade im Urlaub stellt das Fotografieren eine wichtige Praxis des Festhaltens und Markierens der außeralltäglichen, besonderen Erlebnisse dar. Die Urlaubsfotografie kommuniziert, erinnert und materialisiert dabei auch bestimmte Ansichten der Umgebung.[v]

Fotografien als Quelle

Fotografien sind bildhafte Ausschnitte der Realität. Sie sind wichtige Quellen der Alltagsgeschichte, die Auskunft über Routinen und Vorlieben einer Zeit und Einblick in Erfahrungswelten von Menschen bieten. Urlaubsfotografien geben Hinweise auf Landschafts- und Naturerfahrungen sowie ihre Bedeutungszuschreibungen: Wie wird oder wurde Landschaft fotografiert? Welche Aktivität wird auf dem Foto dargestellt und auf welche Weise sind Menschen in das Bild integriert? Wie präsentieren sie sich in der Landschaft?

Private Urlaubsfotografien

Diese Fragen möchte ich anhand zweier Alben aus privaten Fotosammlungen aus den 1940er- bzw. 1960er-Jahren des Volkskundemuseum Wiens untersuchen; ergänzend ziehe ich Fotografien aus dem Onlineforum von Bergfex, einer Website, auf der sich Interessierte über unterschiedliche Rad- und Wanderrouten informieren können, hinzu. Es finden sich hier Wegbeschreibungen, Wetterprognosen, Erfahrungsberichte und Fotos[vi] von Sportler*innen. Fotografien sind dort frei verfügbar und illustrieren die aktuelle, dominante Präsentationspraxis privater Fotos auf Social Media.

Das Thema der Ausstellung „Alle Antreten! Es wird geknipst!“ im Volkskundemuseum Wien 2018/19 waren Privatfotografien. Ziel war es, private Fotografien öffentlich zu zeigen und auf generationale Unterschiede hin zu befragen. Die Anlässe und Motive veränderten sich über die Jahrzehnte kaum, wie die Forschung am Material zeigte.[vii] Das Volkskundemuseum stellte mir die Privatsammlungen, die Grundlage der beschriebenen Ausstellung waren, für meine Suche nach Urlaubsfotografien zur Verfügung. Die beiden Alben stammen aus zwei gutbürgerlichen Familien und dokumentieren Familienausflüge, Wanderungen, Dienstreisen und Urlaube. Urlaub war in den 1940er-Jahren kostspielig, und auch das Fotografieren selbst (Filme und Abzüge der Fotos etwa) war in der Nachkriegszeit vergleichsweise teuer. Nur wenige konnten es sich leisten, privat zu fotografieren. Mit dem Wirtschaftsaufschwung ab den 1950er-Jahren verbreitete sich dann auch die Privatfotografie.[viii]

Rax und Waldviertel: Berglandschaft und Naturlandschaft

Im Folgenden lenke ich den Blick auf die fotografische Repräsentation von Landschaft, wie sie in den Alben zum Vorschein kommt. Dabei konzentriere ich mich auf zwei Landschaftstypen. Die Rax wird als gewaltige Berglandschaft präsentiert. Sie ist Schauplatz von Wanderungen, besonders häufig kommt die Gipfelwanderung in den Alben vor. Das Waldviertel dagegen wird in den Alben als wiesenreiche, hügelige Naturlandschaft präsentiert, in der Fotos Erholung, Ruhe und Naturnähe verheißen. Anders als die schroffe Berglandschaft der Rax besteht das Waldviertel aus Wäldern, Wiesen, Feldern, Hochmooren und Heide und wird daher als Naturlandschaft beschrieben.

Abbildung 2: Pose am Berg mit Blick in die Ferne als gängiges Motiv der Landschaftsfotografie, 1947
Abbildung 3: Pose am Berg Rax mit Blick in die Ferne als gängiges Motiv der Landschaftsfotografie, 2004

Für die Gebirgslandschaft der Rax ist charakteristisch, dass sich Reisende in einer spezifischen Pose ablichten lassen. Auf den Fotos präsentieren sich Menschen in einer inszenierten Körperhaltung mit aufgestelltem Bein am Gipfel eines Berges vor weiter Bergkulisse, den Blick in die Ferne gerichtet, geradezu andächtig ob der Erhabenheit der Berge. Es handelt sich um ein auffällig oft verwendetes Motiv in der Landschaftsfotografie des Bergsteigens. Die spektakuläre und hindernisreiche Berglandschaft wird durch eine lässige Pose quasi erobert. Die Inszenierung erinnert an das kunstgeschichtlich vielfach verhandelte Bild der eroberten Landschaft, in der sich der Mensch als Herrscher über die Natur manifestiert.[ix]

Der Künstler Caspar David Friedrich beispielsweise malte 1818 sein berühmtes Bild „Wanderer über dem Nebelmeer“, auf dem ein Mensch in einer imposanten Landschaft zu sehen ist.[x] Der Titel „über dem Nebelmeer“ suggeriert das Bild der eroberten Landschaft. Auch hier ist die bereits beschriebene Pose zu sehen: Der Wanderer ist mit vorgestrecktem linkem Bein auf dem Plateau eines Bergfelsens in Rückenansicht abgebildet, womit die Aufmerksamkeit umso mehr auf die Landschaft gelenkt und das Mensch-Natur-Verhältnis dargestellt wird.

Abbildung 4: Illustration „Wanderer über dem Nebelmeer“ 1818

Eines der Alben des Volkskundemuseums enthält Aufnahmen eines Familienausflugs aus dem Waldviertel (Rekawinkel) in den 1950er-Jahren (Abb. 5). Wie bereits erwähnt wurden diese Fotos von einer österreichischen Kleinfamilie aus dem bürgerlichen Milieu aufgenommen. Sie zeigen keine spektakuläre Landschaft, sondern aktive Situationen der Reisenden in grünen Wiesen oder beim Wandern. Der Fokus ist auf die Menschen und ihre Beziehungen (etwa in Abb. 5 von Mutter und Kind) gerichtet und nicht auf die Sehenswürdigkeiten der Landschaft. Alltägliche Situationen im Urlaub und geteilte Erlebnisse werden festgehalten. Der Blick ist lachend zur Kamera gerichtet, abgelichtet sind fröhliche Menschen in der „Natur“, inmitten von Blüten und hohen Gräsern. Neben der Erinnerungsfunktion von Fotos in privaten Familienalben werden Fotografien auch breit gestreut. Abbildung 6 stammt aus dem Bergfex-Onlineforum und zeigt sportliche Aktivitäten im Waldviertel 2013 – Tourenradfahrer:innen zwischen Feldern. Das Foto spiegelt den aktuellen Zeitgeist wider: Sport ist eine wichtige und beliebte Tätigkeit beim Urlaubmachen, die öffentlich präsentiert wird.

Abbildung 5: Familienausflug Rekawinkel, 1950iger-Jahre
Abbildung 6: Radausflug Waldviertel 2013 zum Werbezweck

Die Fotografien der Rax als österreichische Bergwelt fokussieren die Berge als zentrales Motiv der Urlaubsfotografie und Attraktion der Reise. Die Urlauber*innen posieren in einer lockeren oder angelehnten Körperhaltung in der Landschaft, wobei der Blick in die Ferne schweift oder vor eindrücklicher Bergkulisse als Hintergrund in die Kamera gerichtet ist.

Abbildung 7: Ausschnitt aus Wander*innen in den österreichischen Bergwelten, 1947

Die Rax taucht auch auf der Website Bergfex immer wieder als beliebtes Motiv auf. Fotos zeigen bezeichnenderweise Wander*innen mit gleicher Pose und Blickrichtung wie in den Privatalben.

Landschaftstypen in Urlaubsfotografien

Albrecht Lehmann sieht den Wald als kulturellen Erfahrungs- und Handlungsraum.[xi] Vorstellungsbilder und Erfahrungswissen werden schon in der Kindheit über die Eltern und andere Instanzen vermittelt. Erzählungen, Fotos, Filme und Gemälde von Landschaften, aber auch Lieder und Märchen über Landschaften beeinflussen, wie wir die Natur sehen und erfahren. Sie prägen auch unsere Reisevorstellungen und Urlaubsziele.

Anhand des Bildmaterials konnte ich zwei Landschaftstypen aufzeigen: eine spektakuläre Bergkulisse der Rax und eine erholsame Naturkulisse des Waldviertels. In ihnen sind zugleich unterschiedliche Aktivitäten adressiert: Beim Rax-Ausflug wurde ein Gipfel bestiegen und beim Rekawinkel- und Waldviertel-Ausflug wanderten oder radelten die Reisenden in der Natur.

Abbildungsverzeichnis

Postkarte: © Volkskundemuseum Wien, abm/0004, Fotografie aus Privatbesitz, © Volkskundemuseum Wien, abm/0004, Fotografie aus Privatbesitz

Abbildung 1: © Volkskundemuseum Wien, abm/0004, Fotografie aus Privatbesitz

Abbildung 2: © Volkskundemuseum Wien, abm/0004, Fotografie aus Privatbesitz

Abbildung 3: © Marktgemeinde Reichenau an der Rax – Franz Zwickl, Fotografie aus Privatbesitz

Abbildung 4: © Vanadis Melchers

Abbildung 5: © Volkskundemuseum Wien, pos/64.560, Fotografie aus Privatbesitz

Abbildung 6: © Waldviertel Tourismus – Erwin Haiden, Fotografie aus Privatbesitz und frei verfügbar

Abbildung 7: © Volkskundemuseum Wien, abm/0004, Fotografie aus Privatbesitz

[i] Vgl. Stiegler, Bernd / Yacavone, Kathrin: Erinnerung, Erzählung, Erkundung. Fotoalben im 20. und 21. Jahrhundert. In: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie 42 (2022), Heft 165, S. 3-6, hier S. 3ff.

[ii] Vgl. Pagenstecher, Cord: Der bundesdeutsche Tourismus. Ansätze zu einer Visual History: Urlaubsprospekte, Reiseführer, Fotoalben 1950 – 1990, Hamburg 2003, S. 466.

[iii] Vgl. Stiegler /Yacavone: Erinnerung, Erzählung, Erkundung, S. 3f.

[iv] Vgl. Ebda, S. 3ff.

[v] Vgl. Tobias Schweiger: Zur Bedeutung von Landschaft in österreichischen Privatfotografien der Nachkriegszeit. In: Garstenauer, Rita / Müller, Günter (Hg.): Aus der Mitte der Landschaft. Landschaftswahrnehmung in Selbstzeugnissen (= Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes), Innsbruck / Wien / Bozen 2011, S. 143-152, hier S. 144.

[vi] Vgl. Fotos/Bilder Reichenau / Rax – Raxalpe (o.D.) https://www.bergfex.at/sommer/raxalpe-reichenau-an-der-rax/bilder/ (Zugriff: 11.11.2022).

[vii] Vgl. „ALLE ANTRETEN! ES WIRD GEKNIPST!“ Private Fotografie in Österreich 1930-1950 (o.D.) https://www.volkskundemuseum.at/privatefotografie (Zugriff: 16.01.2023).

[viii] Vgl. Pagenstecher, Der bundesdeutsche Tourismus, S. 257f.

[ix] Vgl. Hanisch, Ernst: Landschaft und Identität. Versuch einer österreichischen Erfahrungsgeschichte, Wien / Köln / Weimar 2019, S. 118.

[x] Vgl. Wolff, Markus (o.D.). Caspar David Friedrich: Die Landschaft der Seele https://www.geo.de/magazine/geo-epoche-edition/20083-rtkl-deutsche-romantik-caspar-david-friedrich-die-landschaft-der (Zugriff: 16.01.2023).

[xi] Vgl. Lehmann, Albrecht: Waldbewußtsein & Waldnutzung. Der Wald in kulturwissenschaftlicher Sicht. In: Lehmann, Albrecht / Schriewer, Klaus (Hg.): Der Wald – Ein deutscher Mythos? Perspektiven eines Kulturthemas, Berlin / Hamburg 2000, S. 23-38, hier S. 26f.