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Willkommen im Hotel Leerstand. Spuren eines touristischen Niedergangs

Ab Ende der 1960er-Jahre sinken die Gästezahlen in Mönichkirchen. Der Ort und seine Bewohner*innen finden unterschiedliche Wege, mit den neuen Verhältnissen umzugehen. Diese Strategien wirken sich bis heute auf den Ort aus.

Gesellschaftliche Veränderungen gehen weder am Leben von Menschen, noch der Erscheinung von Orten spurlos vorüber. Mönichkirchen, ein Ort im Bezirk Neunkirchen in Niederösterreich mit etwa 600 Einwohner*innen, führt eindrücklich vor Augen, wie stark Veränderungen im Tourismus eine Ortschaft prägen. Die Geschichte des Fremdenverkehrs schrieb sich über Generationen in Familien und deren Erwerbsarbeit ein. Aber auch in den Gebäuden und der Materialität des Ortes sind Spuren der Vergangenheit sichtbar.

Das Ausbleiben der Gäste

In der Nachkriegszeit ab 1945 boomte der Fremdenverkehr im Ort. Viele der Mönichkirchner*innen lebten gut vom Tourismus. Hotels, Privatquartiere und Gasthäuser waren ausgelastet. Doch spätestens Anfang der 1970er-Jahre wurden fernere Urlaubsziele wie etwa Italien oder Jugoslawien zur Konkurrenz für inländische Fremdenverkehrsorte wie Mönichkirchen. Sie lockten mit Stränden und warmem Wetter und wurden durch den ansteigenden Wohlstand für viele der bisherigen Gäste leistbar.[i] Während Mönichkirchen 1969 noch knapp 151.000 Übernachtungen pro Jahr zählte,[ii] waren die Zahlen zehn Jahre später schon um ein Drittel zurückgegangen: Nun gab es nur mehr knapp 94.000 Nächtigungen pro Jahr.[iii] Vor allem der Sommertourismus litt unter dieser Entwicklung. 1990 zählten die Beherbergungsbetriebe in Mönichkirchen nur noch etwa 63.000 Übernachtungen – noch einmal um ein Drittel weniger.

Spuren des Niedergangs

Dieser Rückgang des Übernachtungstourismus im Sommer manifestiert sich noch heute im Ortsbild. Mitten in Mönichkirchen befindet sich etwa das ehemalige Hotel Hochwechsel, das imposant, aber in die Jahre gekommen wirkt und leer steht. Renovierungsarbeiten gehen nur langsam voran. Auch das ehemalige Hotel Lang steht mittlerweile seit über 30 Jahren leer. Der einstige Tennisplatz des Hotels gleicht heute einer wilden Wiese. Das ehemalige Kurhotel Binder, das sich ebenfalls im Zentrum befindet, wurde umfunktioniert. Es beherbergt heute eine Einrichtung für suchtkranke Mädchen und Frauen der Organisation „Grüner Kreis“. Ein weiteres Beispiel für den Leerstand ist der Mönichkirchner Hof, ein ehemaliges Hotel, das in prominenter Lage neben dem 1996 ebenfalls aufgelassenen Bahnhof Mönichkirchen liegt.

Wege aus der Krise. Ein Versuch

Gerade als Anfang der 1990er-Jahre aufgrund einer Umstrukturierung der Krankenkassen die Finanzierung von Erholungsaufenthalten wegfiel, welche Mönichkirchen bis dahin noch einige Gäste beschert hatte, schien der Tiefpunkt erreicht. Für viele Mitarbeiter*innen und Tourismusbetriebe bedeutete das ein Ende des Einkommens im Tourismus. Während etwa 1992 noch um die 63.000 Übernachtungen in Mönichkirchen vermerkt wurden, waren es 1993 nur noch um die 47.000 und damit ein Viertel weniger als im Jahr zuvor.  Ein lokaler Unternehmer und Betreiber eines Gasthofs mit Zimmern – nicht im Ort, sondern auf der Höhe der Bergstation des Sesselliftes – berichtet, dass der Skilift zwar im Winter eine gewisse Auslastung seiner Unterkunft garantierte, doch im Sommer gab es kaum Gäste.[iv] Nach einem Urlaub in Grenoble startete er einen Versuch, dieser Entwicklung entgegenzutreten. Inspiriert von dem, was er dort gesehen hatte, leitete er in Mönichkirchen 1993 den Bau einer Rollerbahn in die Wege. Die österreichische Tageszeitung Kurier berichtete dazu Folgendes: „Österreich hat seine erste Rollerstrecke in freier Natur – und zwar im Ferienort Mönichkirchen (NÖ). Von der Sessellift-Bergstation geht‘s 2,5 Kilometer lang abwärts, mit einem zum High-Tech-Produkt aufgerüsteten Kinderroller, der angeblich auch voluminösere Erwachsene aushält“.[v] Nun gab es eine Sommer-Attraktion im Ort.

Abbildung 7: Prospekt für den Gasthof Enzian in Mönichkirchen um 2003

Bis Ende der 1990er-Jahre verringerten sich die Übernachtungen auf um die 22.000 im Jahr 1999 und blieben auch während der 2000er-Jahre in dem Bereich um die 20.000 Übernachtungen. Im Zeitraum der letzten zehn Jahre haben sich die jährlichen Übernachtungszahlen in Mönichkirchen auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau von durchschnittlich um die 15.000 Nächtigungen eingependelt, ein Bruchteil der 150.000 Nächtigungen in Mönichkirchen in den 1950er- und 1960er-Jahren.[vi] Heute prägen vor allem Tagesgäste und Kurzurlauber*innen den Ort.

Konstanten und Veränderung im Beherbergungsbetrieb

Der Rückgang der touristischen Auslastung wirkte sich vor allem unmittelbar auf die Beherbergungsbetriebe aus. Manche suchten einen Weg aus der Krise und modernisierten ihre Unterkünfte. In den 1970er- und 1980er-Jahren standen in vielen Betrieben Umbauten an. Etagenduschen und -toiletten mussten durch Zimmer mit eigenem Sanitärbereich ersetzt werden, um zeitgemäßen Standards zu entsprechen. Das erforderte erhebliche Investitionen. Ein Pensionsbetreiber erzählt, wie sein Vater zu seinem Gästehaus gekommen ist:

„Er hat sich verschiedene Betriebe angeschaut und hat sich dann aber für diesen Betrieb in Mönichkirchen entschieden, unter anderem wegen dem Detail, dass es das einzige Haus war, das er sich angeschaut hat, damals in den ’70er Jahren, wo jedes Zimmer Bad und WC hatte.“[vii]

Abbildung 8: Gestickte Darstellung des Sonnenhofs Hechtl, gestickt von der Seniorchefin Anna Hechtl in den 1980er-Jahren. Es hängt heute in der Gaststube des Hotels.

Nicht alle Betriebe überlebten die Veränderungen im Tourismus. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts hat sich die Anzahl der verfügbaren Betten im Ort zumindest um ein Drittel verringert. Einige Familienbetriebe sind erhalten geblieben. Johannes Hechtl etwa hat die Leitung des Sonnenhofs Hechtl von seinem Vater übernommen und führt ihn nun gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Frau. Der ältere Sohn besucht mittlerweile die Unterstufe eines zweisprachigen Gymnasiums. Er lernt dort Ungarisch, was ihm in seinem zukünftigen Beruf helfen soll: „Ich werde das Ganze mal übernehmen“, wirft der Bub ein, während ich mit seinem Vater in der Gaststube sitze und wir uns unterhalten.

Abbildungsverzeichnis

Postkarte: © Fotografie von Tabea Christa, 02.08.2022

Abbildung 1: © Fotografie von Tabea Christa, 02.08.2022

Abbildung 2: © Fotografie von Tabea Christa, 02.08.2022

Abbildung 3: © Fotografie von Tabea Christa, 02.08.2022

Abbildung 4: © Fotografie von Tabea Christa, 02.08.2022

Abbildung 5: © Fotografie von Tabea Christa, 02.08.2022

Abbildung 6: © Fotografie von Tabea Christa, 02.08.2022

Abbildung 7: © Objekt von Alois Reithofer, Fotografie von Tabea Christa

Abbildung 8: © Objekt von Anna Hechtl, Fotografie von Tabea Christa

[i] Vgl. Langreiter, Nikola: Niederösterreich Tourismus 1918–1995. In: Melichar, Peter / Langthaler, Ernst / Eminger, Stefan (Hg.): Niederösterreich im 20. Jahrhundert. 2. Bd.‚ Wien / Köln / Weimar 2008, S. 123-164, hier S.144.

[ii] Vgl. Amt der Niederösterreichischen Landesregierung (Hg.): Der Fremdenverkehr in Niederösterreich. Berichtsjahr 1969 (= Heft 15), Wien 1970.

[iii] Vgl. Amt der Niederösterreichischen Landesregierung (Hg.): Der Fremdenverkehr in Niederösterreich. Berichtsjahr 1979 (= Heft 25), Wien 1980.

[iv] Interview mit Alois Reithofer, geführt von Tabea Christa, am 03.08.2022.

[v] o. V.: Mit dem Tretroller den Berg hinunter. In: Kurier, 17.08.1993, S. 21.

[vi] Statistik Austria: Ein Blick auf die Gemeinde Mönichkirchen. 8.5. Übernachtungen (o.D.) https://www.statistik.at/blickgem/gemDetail.do?gemnr=31815 (Zugriff: 18.01.2023).

[vii] Interview mit Johannes Hechtl, geführt von Tabea Christa, am 03.03.2022.